Papst Benedikt XVI. musste seine Ansprache in der Stiftskirche des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz am Sonntagnachmittag aus terminlichen Gründen kürzen. Der Heilige Stuhl hat danach die vollständige Fassung dieser Rede über den Vorrang des Gebetslebens, pber die wahre Liturgie und die „kniende Theologie“ vorgelegt, die hier wiedergegeben wird. Hier gibt es die Ansprache auch zum Nachhören – hier Teil 1 und hier Teil 2.
Papst Benedikt in Heiligenkreuz
Hochwürdigster Herr Abt,
verehrte Brüder im Bischofsamt,
liebe Zisterziensermönche von Heiligenkreuz,
liebe gottgeweihte Brüder und Schwestern,
sehr geehrte Gäste und Freunde des Stiftes
und der Hochschule,
meine Damen und Herren!
Gerne bin ich auf meiner Pilgerfahrt zur Magna Mater Austriae auch in das Stift Heiligenkreuz gekommen, das nicht nur eine wichtige Station an der Via Sacra nach Mariazell ist, sondern das älteste durchgehend bestehende Zisterzienserkloster der Welt. Ich wollte an diesen geschichtsträchtigen Ort kommen, um auf die grundlegende Weisung des heiligen Benedikt aufmerksam zu machen, nach dessen Regel auch die Zisterzienser leben. Benedikt ordnet kurz und bündig an, „daß dem Gottesdienst nichts vorgezogen werden soll.“ (Regula Benedicti 43,1)
In einem Kloster benediktinischer Prägung hat daher das Gotteslob, das die Mönche als feierliches Chorgebet halten, immer den Vorrang. Gewiß – und Gott sei Dank! –, die Mönche sind nicht die einzigen, die beten; auch andere Menschen beten: Kinder, Jugendliche und alte Menschen, Männer und Frauen, Verheiratete und Alleinstehende – jeder Christ betet, oder er sollte es zumindest tun.
Im Leben der Mönche hat freilich das Gebet eine besondere Stellung: Es ist die Mitte ihres Berufes. Sie sind von Beruf Betende. In der Väterzeit wurde das Mönchsleben als Leben nach der Weise der Engel bezeichnet. Und als das Wesentliche der Engel sah man es an, daß sie Anbetende sind. Ihr Leben ist Anbetung. So sollte es auch bei den Mönchen sein. Sie beten zuallererst nicht um dies oder jenes, sondern sie beten einfach deshalb, weil Gott es wert ist, angebetet zu werden. „Confitemini Domino, quoniam bonus! Danket dem Herrn, denn er ist gütig! Denn seine Huld währt ewig“, rufen viele Psalmen (z. B. 106,1). Ein solches zweckfreies Gebet, das reiner Gottesdienst sein will, wird daher mit Recht „Officium“ genannt. Es ist der „Dienst“, der „heilige Dienst“ der Mönche. Er gilt dem dreifaltigen Gott, der über alles würdig ist, „Herrlichkeit zu empfangen und Ehre und Macht“ (Offb 4,11), da er die Welt wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert hat.
Zugleich ist das Officium der Gottgeweihten auch ein heiliger Dienst an den Menschen und ein Zeugnis für sie. Jeder Mensch trägt im Innersten seines Herzens die Sehnsucht nach der letzten Erfüllung, nach dem höchsten Glück, also letztlich nach Gott, sei es bewußt oder unbewußt. Ein Kloster, in dem sich die Gemeinschaft täglich mehrmals zum Gotteslob versammelt, bezeugt, daß diese urmenschliche Sehnsucht nicht ins Leere geht. Gott, der Schöpfer, hat uns Menschen nicht in eine beängstigende Finsternis gesetzt, wo wir verzweifelt den letzten Sinngrund suchen und ertasten müßten (vgl. Apg 17,27); Gott hat uns nicht in einer sinnleeren Wüste des Nichts ausgesetzt, wo letztens nur der Tod auf uns wartet. Nein! Gott hat unsere Dunkelheit durch sein Licht hell gemacht, durch seinen Sohn Jesus Christus. In ihm ist Gott mit seiner ganzen „Fülle“ in unsere Welt eingebrochen (Kol 1,19), in ihm hat alle Wahrheit, nach der wir uns sehnen, ihren Ursprung und ihren Gipfelpunkt.2
Unser Licht, unsere Wahrheit, unser Ziel, unsere Erfüllung, unser Leben – all das ist nicht eine religiöse Lehre, sondern eine Person: Jesus Christus. Noch viel mehr als wir Menschen Gott je suchen und ersehnen können, sind wir schon zuvor von ihm gesucht und ersehnt, ja gefunden und erlöst! Der Blick der Menschen aller Zeiten und Völker, aller Philosophien, Religionen und Kulturen trifft zuletzt auf die weit geöffneten Augen des gekreuzigten und auferstandenen Sohnes Gottes; sein geöffnetes Herz ist die Fülle der Liebe. Die Augen Christi sind der Blick des liebenden Gottes. Das Kreuzesbild über dem Altar, dessen romanisches Original sich im Dom von Sarzana befindet, zeigt, daß dieser Blick einem jeden Menschen gilt. Denn der Herr schaut jedem von uns ins Herz.
Kern des Mönchtums ist die Anbetung – das Sein nach der Weise der Engel. Weil aber die Mönche Menschen mit Fleisch und Blut auf dieser unserer Erde sind, hat der heilige Benedikt dem zentralen Imperativ des „Ora“ doch einen zweiten hinzugefügt: das „Labora„. Zum Mönchsleben gehört in der Konzeption des heiligen Benedikt wie des heiligen Bernhard mit dem Gebet die Arbeit, die Gestaltung der Erde gemäß dem Willen des Schöpfers. So haben die Mönche in allen Jahrhunderten von ihrem Blick auf Gott her die Erde lebbar und schön gemacht. Bewahrung und Heilung der Schöpfung kam gerade aus ihrem Hinschauen auf Gott. Im Rhythmus von ora et labora legt die Gemeinschaft der Gottgeweihten Zeugnis ab für den Gott, der uns in Jesus Christus ansieht und von dem angeblickt Mensch und Welt recht werden.
Nicht nur die Mönche beten das Officium, sondern die Kirche hat für alle Ordensleute, aber auch für die Priester und Diakone, aus der Mönchstradition das Breviergebet abgeleitet. Auch hier gilt, daß die Ordensfrauen und Ordensmänner, die Priester und Diakone – und natürlich auch die Bischöfe – im täglichen „offiziellen“ Gebet mit Hymnen und Psalmen, mit Dank und Bitte zweckfrei hintreten vor Gott.
Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst, liebe Brüder und Schwestern im gottgeweihten Stand! Ich weiß, daß es Disziplin braucht, ja mitunter Überwindung kostet, treu das Brevier zu beten; doch durch dieses Officium werden wir zugleich reich beschenkt: Wie oft fallen dabei wie von selbst Erschöpfung und Bedrückung von uns ab! Und wo Gott treu gelobt und angebetet wird, da bleibt sein Segen nicht aus. In Österreich sagt man mit Recht: „An Gottes Segen ist alles gelegen!“
Euer erster Dienst für diese Welt muß daher Euer Gebet und die Feier des Gottesdienstes sein. Die Gesinnung eines jeden Priesters, eines jeden gottgeweihten Menschen muß es sein, „dem Gottesdienst nichts vorzuziehen“. Die Schönheit einer solchen Gesinnung wird sich in der Schönheit der Liturgie ausdrücken, sodaß dort, wo wir miteinander singen, Gott preisen, feiern und anbeten, ein Stück Himmel auf Erden anwesend wird. Es ist wirklich nicht vermessen, wenn man in einer auf Gott hin konzentrierten Liturgie, in den Riten und Gesängen, ein Abbild des Ewigen sieht. Wie sonst hätten unsere Vorfahren vor Hunderten von Jahren einen so erhabenen Kirchenraum schaffen können wie diesen?! Hier zieht schon die nüchterne Architektur all unsere Sinne hinauf zu dem, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Bei allem Bemühen um die Liturgie muß der Blick auf Gott maßgebend sein. Wir stehen vor Gott – er spricht mit uns, wir mit ihm. Wo immer man bei liturgischen Besinnungen nur darüber nachdenkt, wie man Liturgie attraktiv, interessant, schön machen kann, ist Liturgie schon verfallen. Entweder ist sie opus Dei mit Gott als dem eigentlichen Subjekt oder sie ist nicht. Ich bitte an dieser Stelle: Gestaltet die heilige Liturgie aus dem Hinschauen auf Gott in der Gemeinschaft der Heiligen, der lebendigen Kirche aller Orte und Zeiten so, daß sie zu einem Ausdruck der Schönheit und Erhabenheit des menschenfreundlichen Gottes wird!
Die Seele des Gebetes ist schließlich der Heilige Geist. Immer, wenn wir beten, ist in Wirklichkeit er es, der „sich unserer Schwachheit annimmt, der für uns eintritt mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ (vgl. Röm 8,26). Im Vertrauen auf dieses Wort des Apostels Paulus versichere ich Euch, liebe Brüder und Schwestern, daß das Gebet in Euch jene Wirkung hervorbringen wird, die man früher ausgedrückt hat, indem man Priester und Gottgeweihte schlicht und einfach „Geistliche„ genannt hat. Bischof Sailer von Regensburg hat einmal gesagt, die Priester müßten vor allem geistlich-Geistliche sein. Ich fände es schön, wenn der Ausdruck „Geistliche“ wieder vermehrt in Gebrauch käme. Wichtig aber ist vor allem, daß sich jene Wirklichkeit an uns ereignet, die das Wort beschreibt: daß wir in der Nachfolge des Herrn durch die Kraft des Geistes zu „geistlichen“ Menschen werden.
Österreich ist, wie man doppelsinnig sagt, wahrhaft „Klösterreich“. Eure uralten Stifte mit Ursprüngen und Traditionen, die über Jahrhunderte reichen, sind Orte der „Präferenz für Gott“. Liebe Mitbrüder, macht diesen Vorrang Gottes den Menschen deutlich sichtbar! Als geistliche Oase zeigt ein Kloster der heutigen Welt das Allerwichtigste, ja das letztlich allein Entscheidende: daß es einen letzten Grund gibt, um dessentwillen es sich zu leben lohnt: Gott und seine unergründliche Liebe.
Und Euch, liebe Gläubige, bitte ich: Nehmt Eure Stifte und Klöster als das wahr, was sie sind und immer sein wollen: nicht nur Kultur- und Traditionsträger oder gar bloße Wirtschaftsbetriebe. Struktur, Organisation und Ökonomie sind auch in der Kirche notwendig, aber sie sind nicht das Wesentliche. Ein Kloster ist vor allem eines: ein Ort der geistlichen Kraft. Wenn man zu einem Eurer Klöster hier in Österreich kommt, empfindet man dasselbe, wie wenn man nach einer schweißtreibenden Wanderung in den Alpen sich endlich an einem klaren Quellbach erfrischen kann… Nützt also diese Quellen der Nähe Gottes in Eurem Land, schätzt die Ordensgemeinschaften, Klöster und Stifte und nehmt den geistlichen Dienst in Anspruch, den die Gottgeweihten für Euch zu leisten bereit sind!
Mein Besuch gilt schließlich der nunmehr Päpstlichen Hochschule, die im 205. Jahr ihrer Gründung steht und der vom Herrn Abt in ihrem neuen Status der Name des derzeitigen Petrusnachfolgers beigefügt wurde. So wichtig die Integration der theologischen Disziplin in die „universitas“ des Wissens durch die Katholisch-Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten ist, ist es doch ebenso wichtig, daß es so profilierte Studienorte wie den Euren gibt, wo eine vertiefte Verbindung von wissenschaftlicher Theologie und gelebter Spiritualität möglich ist. Gott ist ja nie bloß Objekt der Theologie, er ist immer zugleich ihr lebendiges Subjekt. Christliche Theologie ist auch nie eine bloß menschenförmige Rede über Gott, sondern sie ist immer zugleich der Logos und die Logik, in der Gott sich zeigt. Darum sind wissenschaftliche Intellektualität und gelebte Frömmigkeit zwei Elemente des Studiums, die in unaufgebbarer Komplementarität aufeinander angewiesen sind.
Der Ordensvater der Zisterzienser, der heilige Bernhard, hat zu seiner Zeit gegen die Loslösung einer objektivierenden Rationalität vom Strom der kirchlichen Frömmigkeit gekämpft. Unsere Situation heute ist anders und doch sehr ähnlich. Bei dem Mühen um die Zuerkennung strenger Wissenschaftlichkeit im modernen Sinn kann der Theologie der Atem des Glaubens ausgehen. Aber so wie Liturgie, die den Blick auf Gott vergißt, als Liturgie am Ende ist, so hört auch eine Theologie, die nicht mehr im Raum des Glaubens atmet, auf, Theologie zu sein; eine Reihe mehr oder weniger zusammenhängender Disziplinen bliebe übrig. Wo aber eine „kniende Theologie“ getrieben wird, wie sie Hans Urs von Balthasar gefordert hat,3 da wird die Fruchtbarkeit für die Kirche in Österreich und darüber hinaus nicht fehlen.
Diese Fruchtbarkeit zeigt sich in der Förderung und Ausbildung von Menschen, die eine geistliche Berufung in sich tragen. Damit eine Berufung zum Priestertum oder zum Ordensstand heute das ganze Leben lang treu durchgehalten werden kann, bedarf es einer Ausbildung, die Glauben und Vernunft, Herz und Verstand, Leben und Denken integriert. Ein Leben in der Nachfolge Christi bedarf der Integration der gesamten Persönlichkeit. Wo die intellektuelle Dimension vernachlässigt wird, entsteht allzu leicht ein frömmlerisches Schwärmertum, das fast ausschließlich von Emotionen und Stimmungen lebt, die nicht das ganze Leben durchgetragen werden können. Und wo die spirituelle Dimension vernachlässigt wird, entsteht ein dünner Rationalismus, der aus seiner Kühle und Distanziertheit nie zu einer begeisterten Hingabe an Gott durchbrechen kann. Man kann ein Leben in der Nachfolge Christi nicht auf solche Einseitigkeiten gründen; man würde mit diesen Halbheiten selbst unglücklich werden und wohl folglich auch geistlich unfruchtbar bleiben. Jede Berufung zum Ordensstand und zum Priestertum ist ein so wertvoller Schatz, daß die Verantwortlichen alles tun müssen, um die adäquaten Wege der Ausbildung zu finden, so daß zugleich fides et ratio – Glaube und Vernunft, Herz und Hirn gefördert werden.
Der heilige Leopold von Österreich hat – wir hörten es eben – 1133 auf Anraten seines Sohnes, des seligen Bischofs Otto von Freising, der mein Vorgänger auf dem Bischofssitz von Freising war, Euer Kloster gestiftet (in Freising feiert man heute das Fest des seligen Otto) und er (Leopold) hat dem Kloster den Namen gegeben: „Unsere Liebe Frau zum Heiligen Kreuz“. Dieses Kloster ist nicht nur traditionell der Gottesmutter geweiht – wie alle Zisterzienserklöster –, sondern bei Euch glüht das marianische Feuer eines heiligen Bernhard von Clairvaux. Bernhard, der mit 30 Gefährten ins Kloster eingetreten war, ist eine Art Patron der geistlichen Berufe. Vielleicht wirkte er deshalb so mitreißend und mutgebend auf viele berufene junge Männer und Frauen seiner Zeit, weil er so marianisch war. Wo Maria ist, da ist das Urbild der Ganzhingabe und der Christusnachfolge. Wo Maria ist, da ist das pfingstliche Wehen des Heiligen Geistes, da ist Aufbruch und authentische Erneuerung. Von diesem marianischen Ort an der Via Sacra aus wünsche ich allen geistlichen Orten in Österreich Fruchtbarkeit und Strahlkraft. Hier möchte ich, wie schon in Mariazell, vor meinem Abschied nochmals die Gottesmutter um ihre Fürsprache für ganz Österreich bitten. Mit den Worten des heiligen Bernhard lade ich einen jeden ein, vor Maria so vertrauensvoll „Kind“ zu werden, wie Gottes Sohn selbst es getan hat. Der heilige Bernhard sagt, und wir sagen es mit ihm: „Mitten in Gefahren, Nöten und Unsicherheiten denke an Maria, rufe Maria an. Ihr Name weiche nicht aus deinem Mund, weiche nicht aus deinem Herzen … Folge ihr, dann wirst du dich nicht verirren, rufe sie an, dann kannst du nicht verzweifeln, denk an sie, dann irrst du nicht. Hält sie dich fest, kannst du nicht fallen; schützt sie dich, dann fürchte nichts; führt sie dich, wirst du nicht müde; ist sie dir gnädig, dann kommst du sicher ans Ziel.“4
1 Regula Benedicti 43,3.
2 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Gaudium et Spes, Nr. 22.
3 Vgl. HANS URS VON BALTHASAR, Theologie und Heiligkeit, Aufsatz von 1948 in: Verbum Caro. Schriften zur Theologie I, Einsiedeln 1960, 195-224.
4 BERNHARD VON CLAIRVAUX, In laudibus Virginis Matris, Homilia 2,17.
Ehe sich Benedikt XVI. mit den Zisterziensern fotografieren ließ und sich von ihnen verabschiedete, begrüßte er die Pilger, die sich im äußeren Stiftshof versammelt hatten.
Liebe Freunde,
vielen Dank, dass ihr da seid und euren Glauben auf diese Weise bekundet, dass es für uns so ein gemeinsames Fest des Glaubens, eine Freude darüber wird, dass wir Christus kennen dürfen, dass wir die Mutter Gottes kennen dürfen und die große Gemeinschaft der Heiligen.
Euch allen wünsche ich viel Segen und Freude, und als Zeichen aller meiner guten Wünsche darf ich Ihnen den Segen erteilen: Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Grüß Gott und auf Wiedersehen, vergelt’s Gott!
[Wörtliche Abschrift der Segensworte]
Papstbesuch in Österreich: Benedikt XVI. zieht Bilanz
Wir veröffentlichen die Ansprache, die Papst Benedikt XVI. am Mittwoch, 12. September 2007, bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom gehalten hat. Vor rund 12.000 Pilgern blickte der Heilige Vater dankbar auf die einzelnen Stationen seiner dreitägigen Pilgerreise durch Österreich zurück und fasste die zentralen Inhalte seiner Ansprache kurz und prägnant zusammen.
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute möchte ich einige Überlegungen zur Pastoralreise anstellen, die ich in den letzten Tagen die Freude hatte, nach Österreich zu unternehmen, ein Land, das mir besonders vertraut ist, sowohl weil es an meine Heimat angrenzt, als auch aufgrund der zahlreichen Kontakte, die ich stets mit ihm unterhalten habe.Der eigentliche Grund für diesen Besuch was das 850. Jubiläum des Heiligtums von Mariazell, dem wichtigsten Heiligtum Österreichs, das auch von den ungarischen Gläubigen geliebt und von den Pilgern weiterer angrenzender Nationen sehr besucht wird. Es handelte sich also vor allem um eine Pilgerreise, die als Motto hatte: „Auf Christus schauen“ – zu Maria gehen, die uns Jesus zeigt.
Ich danke von Herzen Kardinal Schönborn, dem Erzbischof von Wien, und dem gesamten Episkopat des Landes für den großen Einsatz, mit dem sie meinen Besuch vorbereitet und begleitet haben. Ich danke der österreichischen Regierung und allen zivilen und militärischen Obrigkeiten für ihre aufmerksame Zusammenarbeit; insbesondere danke ich dem Herrn Bundespräsidenten für die Herzlichkeit, mit der er mich in den verschiedenen Momenten des Besuches empfangen und begleitet hat.Die erste Etappe war bei der Mariensäule, der historischen Säule, die die Statue der Unbefleckten Jungfrau trägt (vgl. Ansprache auf dem Platz Am Hof). Dort, wo ich Tausenden von Jugendlichen begegnet bin, habe ich meine Pilgerreise begonnen.
Ich versäumte es danach nicht, mich zum Judenplatz zu begeben, um dem Mahnmal der Shoah die Ehre zu erweisen.
In Anbetracht der Geschichte Österreichs und seiner engen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl wie auch der Bedeutung Wiens in der internationalen Politik sah das Programm meiner Pastoralreise die Begegnungen mit dem Bundespräsidenten und dem Diplomatischen Corps vor. Es handelte sich um wertvolle Gelegenheiten, bei denen der Nachfolger des Petrus die Möglichkeit hatte, die Verantwortlichen der Nationen dazu aufzurufen, immer das Anliegen des Friedens und der echten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu fördern. Mit Blick besonders auf Europa habe ich erneut meine Ermutigung bekräftigt, den aktuellen Integrationsprozess auf der Grundlage von Werten voranzutreiben, die am gemeinsamen christlichen Erbe inspiriert sind.Mariazell ist im Übrigen eines der Symbole der Begegnung der Völker Europas im Zeichen des christlichen Glaubens. Wie sollte man vergessen, dass Europa Träger einer Denktradition ist, die Glaube, Vernunft und Gefühl miteinander verbindet? Bedeutende Philosophen haben auch unabhängig vom Glauben die zentrale Rolle des Christentums anerkannt, die es bei der Bewahrung des modernen Bewusstseins vor dem Abdriften in den Nihilismus oder Fundamentalismus einnimmt. Die Begegnung mit den politischen und diplomatischen Autoritäten in Wien war also eine besonders günstige Gelegenheit, um meine Apostolische Reise in den aktuellen Kontext des europäischen Kontinents einzugliedern (vgl. Ansprache in der Hofburg).
Die Wallfahrt im eigentlichen Sinne habe ich am Samstag, dem 8. September, am Fest Mariä Geburt unternommen, dem das Heiligtum von Mariazell geweiht ist. Dessen Ursprung geht auf das Jahr 1157 zurück, als ein Benediktinermönch der nahe gelegenen Abtei St. Lambrecht, der dazu eingeladen worden war, an jenem Ort zu predigen, den wundersamen Beistand Mariens erfuhr, von der er eine kleine Statue aus Holz bei sich trug. Die Zelle („Zell“), wo der Mönch die Statue abstellte, wurde in der Folge das Ziel von Wallfahrten, und innerhalb von zwei Jahrhunderten wurde ein bedeutendes Heiligtum errichtet, wo noch heute die Gnadengottesmutter, auch „Magna Mater Austriae“ genannt, verehrt wird.Es ist für mich eine große Freude gewesen, als Nachfolger des Petrus zu jenem heiligen und den Völkern Mittel- und Osteuropas so teuren Ort zurückzukehren. Dort habe ich die beispielhafte Unverzagtheit abertausender von Pilgern erlebt, die bei dieser Feier trotz Regen und Kälte dabei sein wollten, mit großer Freude und großem Glauben, und wo ich ihnen das zentrale Thema meines Besuches erläutert habe – „auf Christus schauen“, das Thema, das die österreichischen Bischöfe weise während des neunmonatigen Vorbereitungsweges vertieft hatten (vgl. Predigt). Erst aber mit der Ankunft beim Heiligtum haben wir den Sinn dieses Mottos „Auf Jesus schauen“ in seiner Tiefe erfasst: Vor uns standen die Statue der Gottesmutter, die mit einer Hand auf das Jesuskind zeigt, und oben, über dem Altar der Basilika, das Kreuz. Dort hat unsere Wallfahrt ihr Ziel erreicht: Wir haben das Antlitz Gottes in jenem Kindlein im Arm der Mutter und in jenem Mann mit weit ausgebreiteten Armen betrachtet. Jesus mit den Augen Mariens schauen heißt, dem Gott zu begegnen, der die Liebe ist und für uns Mensch geworden und am Kreuz gestorben ist.Am Ende der Messe in Mariazell habe ich den Mitgliedern der Pfarrgemeinderäte, die vor kurzem in ganz Österreich neu gewählt worden sind, die „Missio“ übertragen – ein viel sagender kirchlicher Gestus, mit dem ich das große „Netz“ der Pfarreien unter den Schutz Mariens gestellt habe, die im Dienst an der Gemeinschaft und der Mission stehen (vgl. Ansprache).
Beim Heiligtum habe ich dann mit den Bischöfen des Landes und der Gemeinschaft der Benediktiner Augenblicke freudiger Brüderlichkeit erlebt. Ich bin den Priestern, Ordensleuten, Diakonen und Seminaristen begegnet, und mit ihnen habe ich die Vesper gefeiert. Im Geiste vereint mit Maria, haben wir den Herrn für die demütige Hingabe so vieler Männer und Frauen gepriesen, die sich seiner Barmherzigkeit anvertrauen und dem Dienst an Gott weihen. Diese Personen strengen sich trotz ihrer menschlichen Grenzen – mehr noch: gerade in der Einfachheit und Demut ihrer Menschlichkeit – an, allen einen Abglanz der Güte und der Schönheit Gottes zu bieten, indem sie Jesus auf dem Weg der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams nachfolgen; drei Gelübde, die gut in ihrer wahren christologischen, nicht individualistischen, sondern beziehungsmäßigen und kirchlichen Bedeutung verstanden werden müssen (vgl. Marienvesper).
Am Sonntagvormittag habe ich dann die feierliche Eucharistie im Wiener Stephansdom gefeiert. In der Predigt habe ich in besonderer Weise die Bedeutung und den Wert des Sonntags vertiefen wollen, zur Unterstützung der „Allianz für den Sonntag“. Zu dieser Bewegung gehören auch nichtchristliche Menschen und Gruppen.Als Gläubige haben wir natürlich tiefe Gründe, um den Tag des Herrn so zu leben, wie es uns die Kirche gelehrt hat. „Sine dominico non possumus! – Ohne den Herrn und ohne seinen Tag können wir nicht leben“, erklärten die Märtyrer von Abitene (im heutigen Tunesien) im Jahr 304. Auch wir Christen des dritten Jahrtausends können nicht ohne den Sonntag leben: ein Tag, der der Arbeit und der Ruhe Sinn gibt, der die Bedeutung von Schöpfung und Erlösung vergegenwärtig sowie den Wert der Freiheit und des Dienstes am Nächsten zum Ausdruck bringt… All das ist der Sonntag – bedeutend mehr als ein Gebot!Wenn die Völker antiker christlicher Zivilisation diese Bedeutung aufgeben und es zulassen sollten, dass der Sonntag zum Wochenende oder zur Gelegenheit weltlicher oder kommerzieller Interessen wird, so würde dies heißen, dass sie beschlossen hätten, der eigenen Kultur zu entsagen.
Unweit von Wien liegt die Abtei Heiligenkreuz, und es war für mich eine Freude, diese blühende Gemeinschaft von Zisterziensermönchen zu besuchen, die ohne Unterbrechung seit 874 Jahren besteht! An die Abtei angeschlossen ist die Philosophisch-Theologische Hochschule, die vor kurzem den Titel „päpstlich“ erhalten hat. Indem ich mich in besonderer Weise an die Mönche wandte, habe ich die große Lehre des heiligen Benedikt zum göttlichen Officium in Erinnerung gerufen und dabei den Wert des Gebetes als Gott geschuldeten Dienst des Lobes und der Anbetung für seine unendliche Schönheit und Güte hervorgehoben. Diesem heiligen Dienst darf nichts vorangestellt werden, besagt die Regel des heiligen Benedikts (43,3), damit das gesamte Leben mit seinen Zeiten der Arbeit und der Ruhe in der Liturgie wiederholt und auf Gott ausgerichtet wird.Auch das Studium der Theologie darf nicht vom geistlichen Leben und vom Gebet getrennt werden, wie gerade der heilige Bernhard von Clairvaux eindringlich betonte, der Vater des Zisterzienserordens. Die Existenz der theologischen Hochschule neben der Abtei legt Zeugnis ab für diesen Bund von Glaube und Vernunft, von Herz und Geist (vgl. Ansprache in Heiligenkreuz).
Die letzte Begegnung meiner Reise war die mit den Ehrenamtlichen und Freiwilligen aus dem sozial-karitativen Bereich. Ich wollte so meine Wertschätzung gegenüber so vielen Menschen unterschiedlichen Alters bekunden, die sich sowohl in der kirchlichen Gemeinschaft als auch in der Zivilgesellschaft umsonst im Dienst am Nächsten engagieren.Der ehrenamtliche Dienst ist nicht nur ein „Tun“, er ist vor allem eine Art zu sein, die aus dem Herzen hervorgeht, aus einer Haltung der Dankbarkeit gegenüber dem Leben, und die dazu antreibt, die empfangenen Gaben „zurückzuerstatten“ und mit dem Nächsten zu teilen. In dieser Hinsicht wollte ich von neuem zur Kultur des ehrenamtlichen Dienstes ermutigen (vgl. Begegnung im Wiener Konzerthaus).
Die ehrenamtliche Tätigkeit darf nicht als ein Einsatz angesehen werden, der „Löcher“ stopfen würde in der Präsenz des Staates und der öffentlichen Institutionen, sondern vielmehr als eine komplementäre und immer notwendige Gegenwart, um die Aufmerksamkeit gegenüber den Letzten wach zu halten und einen personalisierten Stil der Initiative zu fördern. Somit gibt es keinen, der nicht ein Ehrenamtlicher sein könnte: auch der ärmste und benachteiligste Mensch kann mit Sicherheit viel mit anderen teilen, indem er zur Errichtung der Zivilisation der Liebe seinen Beitrag anbietet.
Abschließend möchte ich dem Herrn für diese Pilgerreise nach Österreich erneut danken. Das Hauptziel war wieder ein Marienheiligtum, um das herum eine starke kirchliche Erfahrung gelebt werden konnte, wie dies eine Woche vorher in Loreto mit den italienischen Jugendlichen geschehen war. Darüber hinaus kam in Wien und in Mariazell besonders die lebendige, treue und bunte Wirklichkeit der katholischen Kirche zum Vorschein, die in den vorgesehenen Begegnungen so zahlreich vertreten war. Es handelte sich um die freudige und einnehmende Gegenwart einer Kirche, die wie Maria dazu berufen ist, immer „auf Christus zu schauen“, um ihn allen zeigen und anbieten zu können; um eine Kirche, die Lehrerin und Zeugin eines großzügigen Ja zum Leben in all seinen Dimensionen ist; eine Kirche, die ihre zweitausendjährige Tradition in den Dienst einer Zukunft des Friedens und des wahren sozialen Fortschritts stellt, der der ganzen Menschheitsfamilie gilt und sich in der Gegenwart verwirklicht.