Die Hauptaufgabe von uns Mönchen ist der Lobpreis Gottes, stellvertretend für die ganze Kirche, stellvertretend für alle Menschen. Dieses Gebet wird heute „Chorgebet“ genannt; Benedikt nennt es „Opus Dei“ – das heißt einfach „Werk für Gott“, „Gotteswerk“.
Die Mönche versammeln sich mehrmals am Tag, um durch ihr Gebet Gott die Ehre zu geben. Das Gebet der Mönche besteht vor allem aus dem Gesang der Psalmen, die wechselweise von den beiden Chorseiten gesungen werden. Wir fragen daher: Was sind die Psalmen und welche Bedeutung hat das Psalmengebet?
„Psalm“ heißt wörtlich übersetzt: „ein Lied, das zum Saitenspiel zu singen ist“. Die Psalmen sind nicht bloß von Menschen erfundene und verfasste Gebetstexte, sondern sie stehen im Alten Testament, sind also Teil der von Gott inspirierten Bibel. Sie sind gleichsam Gebete, die Gott selbst uns geschenkt hat. Das alttestamentliche Buch der Psalmen ist eine Sammlung von 150 verschiedenen religiösen Gedichten, Liedern und Gebeten, die in der Zeit von 1000 bis 400 vor Christus entstanden sind.
Die Psalmen sind das Gebetbuch des alttestamentlichen Bundesvolkes. Das bedeutet, dass Jesus, Maria und die Apostel diese Psalmen gebetet haben, wie uns ja das Neue Testament an vielen Stellen bezeugt. So stimmt Jesus etwa am Kreuz kurz vor seinem Tod den 22. Psalm an: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34par) Und nach Lukas verabschiedet sich der Herr aus dem irdischen Leben mit den Worten des 31. Psalms: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ (Lk 23,46)
In der Urkirche blieben die Psalmen die bedeutendste Form des Gebetes: Beim Gemeindegottesdienst, bei der Eucharistiefeier hatten sie ihren festen Platz. Am Anfang gingen die Apostel täglich zum Tempel (Apg 2,46) und haben dort sicher am Psalmgesang teilgenommen. Von Anfang an war es auch für Christen selbstverständlich, eine große Anzahl der Psalmen auswendig zu können. Und so ist es durch die Jahrhunderte geblieben.
Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte legten die Psalmen als Weissagungen auf Christus hin aus, was bei den Gläubigen auf großes Interesse stieß: Als zum Beispiel der heilige Augustinus († 430) in der Bischofskirche von Hippo die Psalmen christologisch interpretierte, war das Gotteshaus zum Bersten gefüllt. Von demselben Augustinus wissen wir, dass er auf seinem Sterbebett unablässig die Bußpsalmen gebetet hat.
Zu dieser Zeit vertrieben sich bereits die Bauern hinter dem Pflug und die Handwerker in der Werkstatt die Zeit mit Psalmensingen. Vom Vater des Mönchtums, vom großen Einsiedler Antonius in Ägypten, wird berichtet, dass er im unermüdlichen Psalmengebet eine starke Kraft für den Kampf gegen die Versuchungen der Dämonen empfing. In den ersten Mönchsgemeinschaften Ägyptens und Syriens war es üblich, täglich den ganzen Psalter, also alle 150 Psalmen, zu beten.
Benedikt, Vater und Begründer des abendländischen Mönchtums, schreibt dann im 6. Jahrhundert in seiner Regel seinen Mönchen das Psalmengebet vor und gibt in mehreren Kapiteln klare Anweisungen für die Aufteilung der Psalmen. Und zwar sollen die Mönche in einer Woche alle Psalmen durchbeten, wozu sie sich siebenmal am Tag gemeinsam im Oratorium versammeln sollen. Benedikt ordnet auch die Verteilung der Psalmen über die einzelnen Wochentage. Das gemeinsame Beten der Psalmen im „Chor“, also in Rezitation oder Gesang, ist seitdem als „Chorgebet“ durch eineinhalb Jahrtausende charakteristisch für die benediktinisch geprägten Ordensgemeinschaften.
Da die Gebete zu bestimmten Stunden stattfinden sollen, werden sie auch „Horen“, das kommt vom lateinischen Wort „hora“ für Stunde, genannt. Wo die Horen nicht als „Chorgebet“ gemeinsam gebetet werden, spricht man vom „Stundengebet“. Dazu sind auch Priester und Diakone in der lateinischen Kirche täglich verpflichtet.
Dem heutigen Menschen bereiten die Inhalte der Psalmen oft einige Schwierigkeiten, denn in diesen ehrwürdigen Liedern Israels wird ebenso gesegnet wie geflucht. Der Dank wechselt mit dem Lobpreis, die Klage mit dem inbrünstigen Flehen. Die vorgegebenen Inhalte, die ihren Sitz im Leben eines Beters vor zweieinhalb Jahrtausenden haben, stellen sicher eine Herausforderung dar.
Benedikt schreibt in seiner Regel über das Psalmengebet, dass sich die innere Haltung dem Gebetstext anpassen soll: „Mens nostra concordet voci nostrae“ (RB 19,7). Das bedeutet, dass nicht wir den Inhalt unseres Gebetes bestimmen sollen, sondern umgekehrt: Unser Denken und Fühlen sollen sich dem Inhalt des rezitierten Psalmes anpassen, ihn in sich aufnehmen und zum eigenen Gebet machen.
Solch „gebundenes“ Gebet kann eine große Hilfe sein, da es die Grenzen der eigenen Vorstellung und der eigenen Gebetsanliegen ausdehnt und oft sogar aufsprengt. Der Beter, der sich auf das Gebetete einlässt, erfährt die Weite des göttlichen Wortes. Andererseits weiß aber jeder, der die textgebundene Gebetsform der Psalmen pflegt, dass er ebenso viel Zeit für das persönliche Gebet aufwenden muss, für jenes Gebet, in dem er dann mit seinem eigenen Ich und seinen persönlichen Anliegen vor Gott tritt.
Das Chorgebet in klösterlichen Gemeinschaften besteht größtenteils aus dem Psalmengebet. Im Tagesablauf des Mönches nimmt dieses Chorgebet den vorrangigen Platz ein. Benedikt ordnet an: „Nihil operi Dei praeponatur!“: „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden“. (RB 43,3)
Das gemeinsame Psalmodieren im Chor zu festgesetzten Zeiten verleiht dem ganzen klösterlichen Tagesablauf eine besondere Prägung: Es ist eine Art heiliger Rhythmus, der ständig neu zum Hintreten vor Gott herausfordert. Die Gebetszeiten vereinen die Mönche mehrmals am Tag mit Gott und untereinander, wenn sie sich zum Chorgebet zusammenfinden. Das Chorgebet trägt in gewisser Hinsicht den Charakter des Offiziellen, da es nicht privates Gebet im stillen Kämmerlein ist, sondern öffentliches und feierliches Gemeinschaftsgebet. Man spricht daher auch vom officium divinum, vom „göttlichen Gebetsdienst“. Die Mönche beten im Auftrag und im Dienst der Kirche.
Das gemeinsame Psalmodieren ist in sich ein „heiliges“ Tun, denn es ist das Höchste, was dem Menschen auf Erden zu tun möglich ist: den dreifaltigen Gott im Himmel für seine Liebe unermüdlich zu loben. Daher hat das monastische Chorgebet Anteil am Lob der Heiligen und der Engel Gottes, deren Lobgesang niemals verstummt. In Heiligenkreuz deuten die zahllosen musizierenden Engel samt den singenden Heiligen auf dem Barockchorgestühl auf diesen übernatürlichen Charakter hin. Denn tatsächlich ereignet sich im Chorgebet das Unfassliche, das in der Präfation zum Vierten Hochgebet so ausgedrückt wird: „Durch unseren Mund rühmen dich alle Geschöpfe und künden voll Freude das Lob deiner Herrlichkeit.“
Die Spiritualität der Zisterzienser ist unverzichtbar marianisch! Trotz der Nüchternheit und Strenge, mit der die ersten Zisterzienserväter ihr Ordensideal zu verwirklichen suchten, trägt der Orden von Anfang an das Kennzeichen einer besonderen Hinwendung zu Maria. Über dem Portal der Abteikirche des Mutterklosters Cîteaux war der Spruch eingemeißelt: „Salve, sancta parens, sub qua Cistercius Ordo militat et toto tamquam sol fulget in orbe!“ Das heißt: „Sei gegrüßt, heilige Gottesgebärerin, unter dir dient der Orden von Cîteaux und glänzt auf dem ganzen Erdenrund gleich der Sonne.“
Es war die Zeit des Rittertums und der Frauenminne, welche auch die Marienfrömmigkeit der Mönche prägt. Die Väter sehen in Maria ihre ihnen von Christus, dem Herrn und König, geschenkte Mutter, die sie als ihre Herrin und Königin verehren. Die Zisterzienser verbreiten auch maßgeblich die Anrufung Mariens als „Unsere Liebe Frau“.
Von den Cluniazensern übernahmen die Väter des Ordens auch den Brauch, zusätzlich private marianische Tagzeiten zu beten: das Officium Beatae Mariae Virginis. Die marianischen Tagzeiten wurde zunächst als private Andacht gebetet und ab 1194 gemeinsam mit den kranken Mitbrüdern verrichtet. Dieses Officium war bis zum 2. Vatikanischen Konzil für alle Zisterzienser verpflichtend.
Liturgisch drückt sich die Marienverehrung der ersten Zisterzienser auch so aus, dass seit 1194 in jedem Kloster des Ordens täglich eine Messe zu Ehren der jungfräulichen Gottesmutter gefeiert wird. Dies ist bis heute so geblieben. Im Jahr 1281 erklärt das Generalkapitel als oberste Ordensinstanz Maria zur Patrona Cistercii, Patronin des Zisterzienserordens. Seit 1220 ist im zisterziensischen Messbuch für die Samstage eine Marienmesse vorgesehen.
Das Salve Regina, eine Komposition des heiligen Hermann von der Reichenau aus dem 10. Jahrhundert, wurde zunächst als Magnifikatantiphon an den vier genannten Marienfeiertagen gesungen. Seit 1218 jedoch wird dieser Gruß an die Himmelskönigin in feierlicher Weise am Schluss der abendlichen Komplet, als letztes gemeinschaftliches Gebet am Tag, gesungen. Dem heiligen Bernhard wird die Erweiterung des Salve Regina zugeschrieben. Bei seinem Einzug in den Dom von Speyr soll er in mystischer Verzückung am Schluss weitergesungen haben: „O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria!“ So schließt das Salve Regina seither mit diesem bernhardinischen Lobruf auf die „gütige, milde und süße Jungfrau Maria!“ All die genannten Bräuche werden in den Klöstern des Ordens bis heute befolgt.
Um die Marienverehrung der Zisterzienser ranken sich auch einige erbauliche Legenden. So soll die Muttergottes Abt Alberich erschienen sein und ihn um die Einführung des weißen Habits gebeten haben – als Zeichen ihrer Reinheit, an der die Mönche teilhaben sollen. Alberichs Nachfolger, Abt Stephan Harding, soll dann der Überlieferung nach das schwarze Skapulier samt Gürtel sogar persönlich von Maria empfangen haben.
Vom heiligen Bernhard wird erzählt: Als er im Kloster Affligem ehrfurchtsvoll eine Marienstatue mit dem Gruß „Salve Regina!“ grüßte, soll die Statue nicht nur seine Verneigung, sondern auch seinen Gruß höflich erwidert haben: „Salve Bernarde!“ Bernhard wird wegen seiner Christusliebe und Marienverehrung auch oft dargestellt, wie der Gekreuzigte ihn mit Wasser aus seiner Seitenwunde labt, und Maria ihm Milch aus ihrer Brust darreicht.
Berühmt und kunstgeschichtlich bedeutsam wurde schließlich die Erzählung des Caesarius von Heisterbach: „Ein Mönch unseres Ordens, der Maria sehr liebte, ward vor wenigen Jahren im Geiste entrückt und schaute die himmlische Glorie. Er sah die verschiedenen Gruppen der triumphierenden Kirche. Als der Mönch umherschaute und niemanden aus seinem Orden erblickte, seufzte er zur heiligen Gottesmutter: ‚Hohe Frau, vom Zisterzienserorden sehe ich hier niemanden. Warum sind deine treuen Diener von solcher Seligkeit ausgeschlossen?‘
Da tröstete die Himmelskönigin den Bekümmerten mit den Worten: ‚Die vom Zisterzienserorden sind mir so lieb und vertraut, dass ich sie unter meinen Armen halte.‘ Sie öffnete ihren wundersam weiten Mantel und zeigte darunter unzählige Mönche, Brüder und Klosterfrauen aus dem Zisterzienserorden. Da frohlockte der Mönch und dankte gar sehr, und, zum Leib zurückgekehrt, erzählte er seinem Abt, was er gesehen und gehört hatte.“
Die Geschichte ist so schön, dass sie unbedingt wahr sein muss! Und wenn sie sich nicht wirklich ereignet hat, so hätte sie sich doch wirklich ereignen können!
Patent portae – magis cor!